UniCredit Bank Austria Analyse:
Nach Corona: Fokus der Arbeitsmarktpolitik auf Qualifikation ist gefragt
- Rasche Erholung des Arbeitsmarkts im Konjunkturaufschwung: Langzeitfolgen der Pandemie dürften ausbleiben
- Trotz Beschäftigungsrekord liegt die Arbeitslosigkeit Mitte 2021 noch über Vorkrisenniveau, da das Tempo des Beschäftigtenwachstums nicht ausreicht
- Rekordstand an offenen Stellen weist auf deutliche Verschlechterung der Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage seit Erholungsbeginn hin
- Die Anzahl an offenen Stellen in Relation zum Arbeitskräfteangebot stieg bis Mitte 2021 auf 2,5 Prozent, nach 2 Prozent vor der Pandemie und unter 1 Prozent bis 2016
- Der Mangel an Facharbeitern steht einem Überangebot an wenig qualifizierten Arbeitssuchenden gegenüber
- Umschalten aus Krisenmodus: Rasche Fokussierung auf Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Umschulungsoffensive für langfristigen Erhalt des Wohlstands in Österreich notwendig
„Die Kriseninterventionspolitik während der Pandemie hat am österreichischen Arbeitsmarkt ihre Aufgabe offensichtlich gut erfüllt. In der laufenden Konjunkturerholung verbessert sich die Lage am Arbeitsmarkt überraschend schnell und negative strukturelle Langzeitfolgen scheinen weitgehend auszubleiben“, meint der Chefökonom der UniCredit Bank Austria Stefan Bruckbauer und ergänzt: „Mit dem Ende der Pandemie in Sichtweite muss nun jedoch rasch der Fokus in der Arbeitsmarktpolitik auf das Problem der schleichend schwindenden Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage gestellt werden, das sich in den vergangenen Monaten wieder deutlich verschärft hat.“
Die Erholung der österreichischen Wirtschaft aus der pandemiebedingten Doppelrezession hat die Lage am Arbeitsmarkt im ersten Halbjahr 2021 rasch verbessert. Die Anzahl der unselbständig Beschäftigten in Österreich ist zu Beginn des zweiten Halbjahres auf mehr als 3,8 Mio. gestiegen und hat damit das Rekordniveau von vor Ausbruch der Pandemie bereits fast wieder erreicht. Im Gegenzug ist die Anzahl der Arbeitssuchenden bis Juli 2021 auf saisonbereinigt 320.000 Personen gesunken, liegt damit allerdings noch um rund 30.000 über dem Vorkrisenniveau. „Während die österreichische Wirtschaft bereits an einem neuen Beschäftigtenrekord kratzt, ist die Arbeitslosenquote noch höher als vor Ausbruch der Pandemie. Der Tiefstand von 7,1 Prozent zu Beginn 2020 wird mit aktuell 7,7 Prozent saisonbereinigt allerdings nur noch um rund einen halben Prozentpunkt übertroffen“, meint UniCredit Bank Austria Ökonom Walter Pudschedl. In der Hochphase während des ersten Lockdows kletterte die Arbeitslosenquote auf fast 13 Prozent saisonbereinigt.
Aufgrund der positiven Entwicklung erwarten die Ökonomen der UniCredit Bank Austria im Jahresdurchschnitt 2021 nur noch eine Arbeitslosenquote von 8,3 Prozent und gehen davon aus, dass im Verlauf des kommenden Jahres das Vorkrisenniveau bereits wieder erreicht werden kann.
Die Ursache der aktuell höheren Arbeitslosigkeit ist formal der Anstieg des Arbeitskräfteangebots in Österreich auf einen neuen Höchststand von 4,15 Millionen. Das Arbeitskräfteangebot liegt damit um fast 35.000 Personen über dem Vorkrisenniveau, rein rechnerisch fast ausschließlich der zusätzlichen Anzahl an Arbeitslosen entsprechend. Der Anstieg des Arbeitskräfteangebots aufgrund demographischer Faktoren, steigender Frauenpartizipation am Arbeitsmarkt und der Zuwanderung ist seit über 20 Jahren ein gewohntes Bild in Österreich. Während der Pandemie wurde dieser Trend durchbrochen. Erst seit Jahresbeginn 2021 hat sich wieder ein Aufwärtstrend durchgesetzt. Insgesamt ergibt sich über die gesamte Pandemiezeit im Durchschnitt eine Verlangsamung des Wachstums im Vergleich zu den Vorjahren.
Der österreichische Arbeitsmarkt konnte seit dem Beginn der Pandemie selbst die geringer gewordene Zunahme des Arbeitskräfteangebots allerdings nicht mehr absorbieren. Während zwischen 2015 und 2019 die Beschäftigung in Österreich um durchschnittlich 1,5 Prozent pro Jahr gestiegen ist, hat die Beschäftigung nach dem Einbruch während der Pandemie noch nicht zum alten Wachstumstrend aufschließen können. „Nicht der Anstieg des Arbeitskräfteangebots ist die Ursache für die noch über Vorkrisenniveau liegende Arbeitslosenquote, sondern das zu geringe Tempo des Beschäftigtenwachstums. Dies wäre angesichts der Pandemie nicht weiter auffällig, wenn nicht gleichzeitig die Anzahl der frei verfügbaren Stellen auf ein Rekordniveau zugenommen hätte“, meint Pudschedl.
Die beim AMS eingemeldeten sofort verfügbaren Stellen sind Ende Juli 2021 auf ein neues Allzeithoch von 112.949 gestiegen. Diese Zunahme um fast 50 Prozent gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2019 geht über das übliche Ausmaß in Konjunkturerholungen hinaus, denn auch in Relation zum Arbeitskräfteangebot liegt die Anzahl an offenen Stellen auf einem neuen Rekordwert. „Während im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2015 die Anzahl der offenen Stellen weniger als ein Prozent des Arbeitskräfteangebots in Österreich ausgemacht hat, stieg im Konjunkturaufschwung ab 2016 diese Verhältniszahl auf bis zu zwei Prozent an. Nach dem scharfen Einbruch während der Pandemie erhöhte sich die Anzahl der offenen Stellen bis Juli 2021 auf nunmehr 2,5 Prozent des Arbeitskräfteangebots“, so Pudschedl.
Um diese Relation auf Vorkrisenniveau zu bringen, müssten für rund 25.000 der derzeit gemeldeten offenen Stellen sofort geeignete Kandidaten aus dem Reservoir an Arbeitssuchenden gefunden werden. Um die Verhältniszahl auf das Niveau von vor 2015 zu senken, müssten sogar rund 65.000 der freien Stellen unmittelbar besetzt werden können.
Die aktuellen Entwicklungen am Arbeitsmarkt zeigen eine Verschärfung der qualifikatorischen Übereinstimmungsprobleme zwischen Angebot und Nachfrage am heimischen Arbeitsmarkt an. Eine Analyse auf Berufsgruppeneben zeigt, dass Mitte 2021 in bereits 15 von insgesamt fast 80 Gruppen die Stellenandrangszahl – die Anzahl der Arbeitslosen, die auf eine gemeldete offene Stelle entfällt – unter oder an dem Wert von 1,5 liegt, der als Kriterium für die Bezeichnung als Mangelberuf in Österreich gilt.
Besonders dramatisch stellt sich die Lage in Berufsgruppen mit mehr offenen Stellen als bundesweit arbeitssuchenden Personen dar. Dazu gehören weitgehend gut qualifizierte Arbeitskräfte, wie Maschinenbauer, Techniker im elektronischen Bereich, Spengler, Installateure, Metallverarbeiter und Elektriker. Andererseits besteht ein relatives Überangebot am Markt bei Berufsgruppen mit tendenziell eher geringerer Qualifikationen wie Reinigungsdienstleistern, Textilverarbeitern, Gebäudereinigern oder Verwaltungshilfsdiensten.
„Die Erholung des österreichischen Arbeitsmarkts aus der Pandemie wird nach unserer Einschätzung durch ein zu geringes Beschäftigungswachstum gebremst, das angesichts des Rekordstands an offenen Stellen auf einen Mangel an geeigneten Arbeitskräften zurückgeht. Ungünstige Arbeitsbedingungen und niedrige Entlohnung sind dabei nur bedingt als Ursache zu sehen, solange dem Mangel an richtig qualifizierten auch ein Überangebot an Arbeitskräften mit relativ geringen Qualifikationen gegenübersteht“, meint Pudschedl.
„In der Arbeitsmarktpolitik muss jetzt rasch vom Krisenmodus auf offensive, kreative Gestaltung umgeschalten werden. Die Verbesserung der Übereinstimmung von Angebot und Nachfrage am heimischen Arbeitsmarkt wird die zentrale Herausforderung der kommenden Jahre. Sowohl die Arbeitsmarkt- als auch die Bildungs- und Migrationspolitik und die Ausbildungsaktivität der Unternehmerseite sind gefordert“, so Bruckbauer abschließend. Die wirtschaftliche Prosperität und die langfristge Sicherung des Wohlstands in Österreich werden letztlich davon abhängen.
Weiter Informationen unter: Achtung dringend! Vorrang für Qualifizierung, Unicredit Bank Austria, August 2021
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