12.05.2022

UniCredit Bank Austria Branchenüberblick
Positives Branchenklima im Frühjahr 2022 trotz erhöhtem Materialmangel und wachsender wirtschaftlicher Unsicherheit

  • In der Industrie bremsen steigende Materialknappheit und die wachsenden wirtschaftlichen Unsicherheiten das Produktionswachstum 
  • Hoher Auftragsbestand der Bauwirtschaft garantiert weiterhin hohe Auslastungszahlen; Vormaterialmangel und Baukosten erreichen Rekordwerte 
  • 2022 bleibt für den Autohandel und viele Einzelhandelssparten ein schwieriges Geschäftsjahr 
  • Wachstumsimpulse kommen vom Dienstleistungssektor

Österreichs Wirtschaft hat den Schwung vom Vorjahr in das laufende Jahr mitgenommen. Im Sektordurchschnitt ist das Branchenklima noch im April 2022 in der Industrie, am Bau und im Dienstleistungssektor positiv geblieben. (Für die Ermittlung des Branchenklima-Indikators werden die Entwicklung der Produktion und Umsätze bis März 2022 den Konjunkturbefragungsergebnissen vom April 2022 gegenübergestellt.)

Branchenklima Österreich

 

Der aktuelle Branchenüberblick der UniCredit Bank Austria zeigt, dass nach dem wachstumsstarken ersten Quartal 2022 die unternehmerischen Erwartungen bis April in allen Sektoren im Wachstumsbereich geblieben sind. Zudem berichten die Unternehmen sowohl in der Industrie als auch am Bau gut gefüllte Auftragsbücher. Dennoch sind die Produktionserwartungen für die nächsten Monate in einigen größeren Industriebranchen, vermutlich aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten, pessimistischer geworden. Auch der Vormaterialmangel, der sich Anfang 2022 in vielen Produktionsbranchen schon etwas entspannt hat, ist zuletzt in der Aprilbefragung wieder gestiegen und dämpft die Stimmung. „In Summe lassen die jüngsten Konjunkturbefragungsergebnisse den Schluss zu, dass die heimische Wirtschaft ein langsameres Tempo einschlägt, aber bei einem Abklingen der kriegsbedingten Turbulenzen das hohe Wachstum vom ersten Quartal rasch wieder aufnehmen könnte,“ sagt UniCredit Bank Austria Ökonom Günter Wolf. 

Industriewachstum wird schwächer
Mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat sich der Materialmangel in der Industrie verschärft. Für das 2. Quartal erwarten 48 Prozent der Industrieunternehmen erhebliche Produktionsbehinderungen durch Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen. Im ersten Quartal waren es 38 Prozent. Besonders ausgeprägt ist der Materialmangel in der Kfz-Industrie, wo 84 Prozent der Unternehmen über fehlende Vorprodukte klagen, sowie im Maschinenbau und der Elektroindustrie mit Anteilen von jeweils rund 60 Prozent. Über dem Sektordurchschnitt liegt Vormaterialmangel auch bei den industriellen Bauzulieferern. Darüber hinaus wurden von den größeren Industriebranchen keine nennenswerten Lieferkettenprobleme berichtet. 

Im zweiten Quartal 2022 ist zwar aufgrund des sehr hohen Produktionswachstums 2021 von 26 Prozent mit einer leichten Abschwächung der Industrieproduktion im Vorjahresvergleich zu rechnen. Allerdings zeigen die Ergebnisse der Unternehmensbefragungen, dass die Industriekonjunktur trotz des Materialmangels bisher in Schwung geblieben ist. Im April lag die Kapazitätsauslastung im Sektordurchschnitt bei 89 Prozent und damit weiterhin über dem Vorkrisenniveau. Zudem waren die Auftragsbücher gut gefüllt, gemessen am positiven Saldo der Auftragsbeurteilungen von 12 Prozentpunkten. Im Vergleich dazu wurde im wachstumsstarken Jahr 2018 für die Auftragsbeurteilung ein Saldo von unter 6 Prozentpunkten ermittelt. Und nicht zuletzt sind die Produktionserwartungen für die nächsten Monate im Industriedurchschnitt per Saldo zwar vorsichtiger geworden, aber im Wachstumsbereich geblieben. Das Branchenklima hat sich im April in der Elektrotechnik, der Chemie und der Lebensmittelerzeugung abgekühlt, in der Kfz-Industrie bereits eingetrübt.

Die Produktion der Kfz-Industrie ist seit Juli 2021 im Vergleich zu den Vorjahreswerten kontinuierlich rückläufig, im ersten Quartal 2022 noch um durchschnittlich 17 Prozent. Auch im April 2022 sind die Produktionserwartungen der Unternehmen pessimistischer geworden und kündigten damit weitere Einbußen an. Demgegenüber stand die weiterhin sehr gute Beurteilung der Auftragslage der Branche, mit einem positiven Saldo von 22 Prozentpunkten, der deutlich über dem langfristigen Ergebnis von 17 Prozentpunkten lag. Die Befragungsergebnisse können mit der hohen Kfz-Nachfrage erklärt werden, der infolge der Lieferengpässe bei wichtigen Vorprodukten kein entsprechendes Fahrzeugangebot gegenübersteht. Voraussichtlich wird die Branche ihr Vorkrisenniveau 2022 noch nicht erreichen.

Im Vergleich der größeren Investitionsgüterhersteller zeichnen die Konjunkturbefragungsergebnisse vom April in der Elektroindustrie noch das Bild einer stabil wachsenden Branche. Im ersten Quartal 2022 ist die Produktionsleistung im Vorjahresvergleich um 11,1 Prozent gestiegen, angetrieben vor allem von der Elektroniksparte. Bis April sind die Unternehmen beider Sparten, der Elektronik und der Elektrotechnik, in der Beurteilung ihrer Auftragslage per Saldo optimistisch geblieben. Insofern hat der Vormaterialmangel, der seit drei Quartalen als ein wesentliches Produktionshindernis genannt wird, das Wachstum bisher nur wenig gebremst. Im April sind allerdings die Unternehmen der Elektrotechnik in den Produktionserwartungen für die nächsten Monate etwas vorsichtiger geworden und kündigen eine Abkühlung der Spartenkonjunktur an. Gleichzeitig ist in der Elektroniksparte der Anteil zuversichtlicher Produktionserwartungen wieder gestiegen.

Der Maschinenbau verbuchte im ersten Quartal 2022 ein Produktionsplus von 6,4 Prozent. Zudem berichteten die Unternehmen noch im April eine sehr gute Auftragslage. Die Produktionserwartungen für die nächsten Monate sind im Vergleich zum März zwar etwas vorsichtiger geworden, aber per Saldo optimistisch geblieben. Wie in der Elektroindustrie sind die optimistischen Ergebnisse der Unternehmensbefragung auch im Maschinenbau ein Hinweis auf eine zumindest stabile Produktionsentwicklung, die angesichts der großen Lieferschwierigkeiten beim Vormaterial bemerkenswert ist. Für das zweiten Quartal 2022 rechnen 60 Prozent der Unternehmen aufgrund von Materialengpässen mit erheblichen Produktionsbehinderungen, das ist bisher der höchste gemessene Anteil im Maschinenbau. 

Bauwirtschaft arbeitet im April noch auf Rekordniveau 
Im ersten Quartal 2022 ist die Bauproduktion um durchschnittlich 2,7 Prozent, der Bauumsatz dank der hohen Preissteigerungen um 11,9 Prozent gestiegen. Die Kapazitätsauslastung der Bauwirtschaft für das 2. Quartal hat sich auf 7,2 Monate erhöht und liegt unverändert deutlich über dem zehnjährigen Durchschnitt von 6 Monaten. Die hohen Auslastungszahlen werden von einem Mangel an Arbeitskräften und Vormaterialien begleitet, die im April ihren bisherigen Höchststand erreichte. In weiterer Folge wurden die Baukosten und die Baupreise zu neuen Rekorden getrieben. Der Kostenanstieg im Wohnbau, der sich von September 2021 bis Februar 2022 etwas verlangsamt hat, erreichte im März einen historischen Höchstwert mit 15,2 Prozent. 

Im April berichteten die Hochbauunternehmen noch mehrheitlich eine zufriedenstellende Auftragslage. Der Saldo der Auftragsbeurteilungen ist allerdings gegenüber dem Vormonat von 16 auf 11 Prozentpunkte gesunken, wobei die Auftragsbestände im Vergleich zum sonstigen Baugewerbe sogar deutlich niedriger waren. Die Sparte erfasst in erster Linie die Ausbau- und Bauinstallationsgewerbe. Hier erreichte der positive Saldo der Auftragsbeurteilungen im April 32 Prozentpunkte. Die Entwicklung ist ein Hinweis, dass die Neubaunachfrage im Wirtschafts- und Wohnbau schwächer als die Nachfrage nach Ausbau- und Modernisierungsleistungen im Hochbau wächst. 

„Die Baukonjunktur bleibt 2022 voraussichtlich auf Wachstumskurs, wird aber im Vergleich zum Vorjahr an Schwung verlieren. Die Hochbaukonjunktur bremsen die schwache Nachfrage nach Büros und Einzelhandelsbauten und die Budgetbeschränkungen im öffentlichen Hochbau. Zudem wurde im Wohnbau der Nachfrageüberhang großteils schon abgebaut“, sagt Wolf. Die Neubaubewilligungen im Wohnbau sind seit zwei Jahren rückläufig, seit dem 4. Quartal 2021 auch im Einfamilienhausbau. Weitere stärkere Wachstumsimpulse kann die Bauwirtschaft 2022 im Bereich der Hochbausanierung und voraussichtlich im Tiefbau erwarten. Beide Sparten profitieren von den Förderungen für Klimaschutzmaßnahmen. 

2022 bleibt für den Autohandel und viele Einzelhandelssparten ein schwieriges Geschäftsjahr
Seit Juli 2021 stagniert der Spartenumsatz und die Fahrzeugneuzulassungen sind gesunken. Gleichzeitig wurden die Geschäftserwartungen der Autohändler (inklusive der Werkstätten) vorsichtiger und signalisierten in den ersten Monaten 2022 weitere Umsatzrückgänge. Im April lag der Saldo der Geschäftserwartungen für die nächsten Monate bei -42 Prozentpunkten, im langfristigen Durchschnitt bei -4 Prozentpunkten. Der Autohandel leidet vor allem unter den Lieferverzögerungen bei Neuwagen. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs sind zudem das Konsumentenvertrauen und hier vor allem die Zahl der Konsumenten, die in den nächsten zwölf Monaten ein Auto kaufen wollen, deutlich gesunken. 

Das hohe Wachstum der Einzelhandelsumsätze im ersten Quartal 2022 von durchschnittlich 10 Prozent nominell im Vergleich zum Vorjahr war in erster Linie die Folge des hohen Umsatzrückgangs im Vorjahr und kündigte noch keine stärkere Erholung der Einzelhandelskonjunktur an. Die überwiegend negativen Geschäftserwartungen der Händler der letzten Monate signalisierten vielmehr einen verhaltenen Konjunkturverlauf. Während die Geschäftsaussichten der nächsten Monate von den Lebensmittelhändlern im März und April deutlich negativer beurteilt worden sind, ist die Stimmungslage im Nicht-Lebensmittelhandel zuletzt im April etwas über den langfristigen Saldo gestiegen. Trotzdem muss damit gerechnet werden, dass 2022 der hohe Preisauftrieb, die Reallohnverluste und die wachsenden wirtschaftlichen Unsicherheiten die Kauffreudigkeit der Konsumenten dämpfen.

Positives Branchenklima in den meisten Dienstleistungssparten
Der Spartenumsatz im Bereich der sonstigen Wirtschaftsdienste erreichte 2021 mit wenigen Ausnahmen wie den Reisebüros, der Werbung oder dem Verlagswesen das Vorkrisenniveau beziehungsweise ist bei den Anbietern von Informationstechnik- und Telekomdiensten, von sonstigen freiberuflichen Dienstleistungen und den Gebäudereiniger über das Niveau von 2019 gestiegen. Auch 2022 ist das Branchenklima in dem Bereich bisher überwiegend positiv geblieben. Nur im Verlagswesen überwiegen seit März wieder die Zahl pessimistischer Unternehmenseinschätzungen. Der Dienstleistungssektor ist zwar weniger von den aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen betroffen als die Industrie, bleibt aber nicht unbeschadet. Im April sind die Nachfrageerwartungen für die nächsten Monate in allen größeren Sparten im Vergleich zum Vormonat zumindest etwas vorsichtiger geworden.

Im Verkehrsbereich sind die unternehmerischen Erwartungen im April 2022 nur in der Lagerhaltung optimistischer geworden. Im Landverkehr sollten der Gütertransport von der lebhaften Industriekonjunktur und der Personentransport vom wieder erstarkten Tourismus Anfang 2022 profitiert haben. Die wachsende Unsicherheit infolge des Kriegs in der Ukraine dämpfen allerdings die Nachfrageerwartungen und die Spartenkonjunktur, wie beispielsweise der leichte Rückgang der Lkw-Fahrleistung im März von 0,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zeigte (auf mautpflichtigen Straßen in Österreich). 

Im Beherbergungs- und Gaststättenwesen hat sich die Stimmungslage im Februar und März 2022 vor dem Hintergrund der wachsenden Tourismusnachfrage und der erwarteten Nachholeffekte weiter verbessert. Erst im April wurden die Nachfrageerwartungen wieder etwas vorsichtiger. Vermutlich wird die Reisefreudigkeit in- und ausländischer Gäste im Lauf des Jahres abnehmen, gedämpft von den wirtschaftlichen Unsicherheiten und den hohen Treibstoffpreisen. 


Rückfragen:    
UniCredit Bank Austria Economics & Market Analysis Austria 
Günter Wolf, Tel.: +43 (0) 5 05 05-41954;
E-Mail: guenter.wolf@unicreditgroup.at