23.06.2022

UniCredit Bank Austria Branchenbericht
Einzelhandelskonjunktur kühlt 2022 merklich ab

  • Nach dem kräftigen Umsatzplus von 2,8 Prozent 2021 bremsen hohe Preisanstiege und das trübe Konsumklima die Einzelhandelskonjunktur 2022
  • Einzelhandel erreichte im Jahr 2021 in Österreich nominell einen Umsatz von 72,5 Milliarden Euro – 44,3 Milliarden in Nicht-Lebensmittelsparten und 28,2 Milliarden Euro im Lebensmittelhandel
  • Der gesamte Einzelhandel sollte 2022 real noch ein Umsatzwachstum über dem langfristigen Durchschnitt von knapp 1 Prozent erreichen können
  • Rekordinflation von bis zu 9 Prozent bei Lebensmitteln prägt das Einzelhandelsjahr 2022
  • Lebensmittelfachhandel hat langsam Marktanteile von den Supermärkten zurückgewonnen, Onlineeinkauf von Lebensmitteln gewinnt weiter an Bedeutung
  • Apotheken verbuchten auch aufgrund der Durchführung von Coronatests 2021 und Anfang 2022 ihr höchstes Umsatzwachstum seit Jahrzehnten

Der aktuelle Branchenbericht der UniCredit Bank Austria zum Einzelhandel zeigt, dass die Einkaufslust der Österreicher:innen im ersten Quartal 2022 trotz der hohen Preissteigerungen bisher wenig gelitten hat. „Ohne den Lebensmittelhandel ist der Einzelhandelsumsatz bis März 2022 sogar um 8,3 Prozent real gestiegen. Ein deutliches Minus der Supermärkte, aufgrund des starken Wachstums in diesem Bereich im Vergleichszeitraum 2021 und da die Menschen sich wieder verstärkt in der Gastronomie verpflegen konnten, führte jedoch insgesamt zu einem Umsatzplus von nur 1,6 Prozent real im ersten Quartal 2022“, sagt Günter Wolf, Ökonom der UniCredit Bank Austria.

Im Jahresverlauf wird der Lebensmittelhandel wieder an Schwung gewinnen, voraussichtlich werden aber andere Einzelhandelssparten infolge der hohen Preise und der sinkenden Konsumentenstimmung gebremst. Daher wird der Einzelhandel im Gesamtjahr 2022 im Vergleich zu 2021 an Tempo verlieren und nur noch knapp über dem langfristigen Durchschnitt von 1 Prozent Wachstum zu liegen kommen. 

Die Aussichten für das Jahr 2023 im Einzelhandel sind noch bescheidener: Vor dem Hintergrund der Realeinkommensverluste und dem voraussichtlich deutlich schwächeren Wirtschaftswachstum 2023 werden die Haushalte ihre überschüssigen Ersparnisse der letzten zwei Jahre kurzfristig vermutlich nicht zur Gänze verkonsumieren. 

Preisanstieg und Ukrainekrieg trüben das Konsumklima 2022
Anfang 2022 kündigten die erfreulichen Arbeitsmarktdaten, erste hohe Tariflohnabschlüsse und der erwartete starke Zuwachs der verfügbaren Einkommen kräftig steigende Konsumausgaben an. Gleichzeitig wurde die Reallohnentwicklung bereits von der überdurchschnittlich hohen Inflation gedämpft, wobei die hohen Rohstoff- und Energiepreise sukzessive auch andere Konsumprodukte verteuerten. „Mit Beginn des Ukrainekriegs und aufgrund der weiter steigenden Verbraucherpreise hat sich das Konsumklima in den letzten Monaten erheblich eingetrübt“, sagt Günter Wolf.

Das Konsumentenvertrauen sinkt seit Februar 2022, wobei die Konsument:innen im Mai die Konjunktur-entwicklung der nächsten zwölf Monate ähnlich pessimistisch wie zuletzt im April 2020 einschätzten und ihre Einkommenserwartungen auf ein Rekordtief gefallen sind. Bemerkenswert ist an der aktuellen Konsumbefragung, dass sich die Einkaufslaune der Österreicher:innen dennoch im Mai geringfügig verbessert hat. Allerdings blieb der Teilindikator des Konsumentenvertrauens weit unter dem langfristigen Durchschnitt. 

2022 wird die Einzelhandelskonjunktur an Wachstumstempo verlieren
Der Einzelhandel profitierte im ersten Pandemiejahr von der Tatsache, dass die Produkte des täglichen Bedarfs trotz der Lockdownphasen weiterhin gekauft werden konnten und 2021 davon, dass die Konsument:innen ihre 2020 nicht getätigten Einkäufe von Nicht-Lebensmitteln nachgeholt haben. 2021 sind die preisbereinigten Umsätze mit Nicht-Lebensmitteln um 4,7 Prozent und im gesamten Einzelhandel um 2,8 Prozent gestiegen, damit jeweils deutlich rascher als im langfristigen Durchschnitt. Nominell erreichte der Einzelhandelsumsatz im Jahr 2021 72,5 Milliarden Euro, wovon 44,3 Milliarden auf die Nicht-Lebensmittelsparten und 28,2 Milliarden Euro auf den Lebensmittelhandel entfielen. Mit Ausnahme des Bekleidungs- und Schuhhandels haben 2021 alle größeren Einzelhandelsbereiche das Umsatzniveau 2019 nominell wie preisbereinigt wieder übertroffen. 

Im ersten Quartal 2022 wurde das Einzelhandelsergebnis von insgesamt 1,6 Prozent real vom Umsatzrückgang im Lebensmittelhandel von rund 6 Prozent real gebremst. Im Nicht-Lebensmittelhandel ist der Umsatz um 8,3 Prozent real gestiegen. Das Minus im Lebensmittelhandel kann einerseits mit dem hohen Zuwachs im ersten Quartal 2021 und der Tatsache, dass sich die Konsument:innen wieder verstärkt außer Haus verpflegen, erklärt werden. 

Die Einzelhändler sind mit Ausnahme des Lebensmittelhandels in ihren Geschäftsvertrauenswerten noch im Mai per Saldo optimistisch geblieben, was den Schluss zulässt, dass sich auch die Umsätze in dem Segment weiterhin positiv entwickeln. Hingegen sind die Geschäftserwartungen im Lebensmittelhandel etwas vorsichtiger geworden (und bei den Autohändlern sogar erheblich pessimistischer). Im weiteren Jahresverlauf 2022 wird zwar die Erholung der Tourismusnachfrage auch im Lebensmittelhandel wieder für stärkere Umsatzzuwächse sorgen, gleichzeitig wird aber das Nachfragewachstum im Nicht-Lebensmittelbereich schwächer, gebremst von den hohen Preisen und dem sinkenden Konsumentenvertrauen. In Summe verliert der Einzelhandel 2022 an Wachstumstempo, sollte aber im Gesamtjahr noch über dem langfristigen Wachstum von knapp 1 Prozent real zulegen können. 

Rekordinflation prägt das Einzelhandelsjahr 2022 
Langfristig profitieren die Konsument:innen vom Preisdruck im Einzelhandel. Von 2008 bis 2021 sind die Verbraucherpreise in Österreich um durchschnittlich 2,1 Prozent im Jahr gestiegen, die Preise für Waren, die im Einzelhandel vertrieben werden, nur um 1,7 Prozent. In dem Segment sind wiederum Lebensmittel und Getränke um 2 Prozent pro Jahr teurer geworden, die übrigen Konsumgüter nur um 1,2 Prozent.

Kurzfristig hat die Teuerung im Einzelhandel Rekordwerte erreicht und prägt damit das Einzelhandelsjahr 2022. Einzelhandelsrelevante Güter sind bis Mai um durchschnittlich 5,6 Prozent teurer geworden. Der Preisanstieg beschleunigte sich vor allem bei Lebensmitteln und alkoholfreien Getränken sprunghaft, um durchschnittlich 6,5 Prozent beziehungsweise zuletzt im Mai sogar um 9 Prozent. 

Im weiteren Jahresverlauf 2022 kann mit keinem nennenswerten Rückgang der hohen Konsumgüterpreise gerechnet werden. Einerseits sind die Hersteller mit anhaltend hohen Energiekosten belastet. Andererseits ist die reibungslose Versorgung mit Vorprodukten nicht immer gewährleistet. Das heißt, dass die noch starke Konsumgüternachfrage oft auf ein unzureichendes Angebot trifft und damit die Preise antreibt. Vor allem die teuren agrarischen Vorprodukte, wie Düngemittel und Treibstoffe , bewirken einen Anstieg der Lebensmittelpreise. „Die Verbraucherpreise für Lebensmittel werden den Erzeugerpreisen, die bereits im April 2022 um 11,9 Prozent zugelegt haben, vorraussichtlich weiter folgen. Der Erzeugerpreisanstieg dürfte sogar noch weiter an Tempo gewinnen, da die Verkaufspreiserwartungen der Lebensmittelhersteller in Österreich im April und Mai Rekordwerte erreicht haben“, sagt Günter Wolf.

Lebensmittelfachhandel konnte Marktanteile von den Supermärkten zurückgewinnen
Zum Lebensmittelhandel zählen die Sparte „Supermärkte“ mit 26,5 Milliarden Euro Umsatz und der Lebensmittel- und Getränkefachhandel mit 1,7 Milliarden Euro Umsatz. Der Fachhandel, der langfristig sukzessive von den Handelsketten verdrängt wurde, verbuchte seit 2016 etwas höhere Umsatzzuwächse als die Supermärkte. Zwar haben die Bäckereien, Fleischhauereien und anderen Lebensmittelfachhändler 2020 die Marktanteilsgewinne lockdownbedingt wieder verloren. Ihre Umsätze sind aber 2021 und im ersten Quartal 2022 neuerlich rascher gestiegen, um durchschnittlich 5,9 Prozent nominell im Vergleich zu 2,7 Prozent bei den Supermärkten. Die Erfolge im Lebensmittelfachhandel können unter anderem mit der langsamen Expansion des Bäckergewerbes vor allem in Ballungszentren erklärt werden. Eine Trendwende im Lebensmittelmarkt in Richtung kleiner, unabhängiger Läden kündigen sich allerdings nicht an. 

Auf jeden Fall gewinnt der Onlineeinkauf von Lebensmitteln weiter an Bedeutung. Aktuell wird der Anteil der Internetverkäufe des heimischen Lebensmittelhandels mit rund 2 Prozent vom Gesamtumsatz beziffert, in Deutschland mit rund 2,5 Prozent. Im Vorjahr haben etwa 10 Prozent der 15- bis 64-jährigen Österreicher:innen Lebensmittel und/oder Getränke im Internet gekauft. Allerdings sind in dem Segment im Vergleich zu anderen Einzelhandelssparten der Online-Vertriebsschiene engere Grenzen gesetzt, da die Zustellung von Lebensmitteln und Getränken überdurchschnittlich zeit- und kostenaufwendig ist.

Apotheken verbuchten Rekord-Umsätze
Alle größeren Einzelhandelssparten konnten sich schon 2021 von den lockdownbedingten Einbußen erholen. Ausgenommen waren der Bekleidungs- und Schuhhandel, dessen Spartenumsatz noch Anfang 2022 um 20 Prozent unter dem Niveau 2019 lag. Die Entwicklung dokumentiert einerseits die zunehmende Nachfragesättigung und andererseits die starke Onlinekonkurrenz. Bekleidung und Schuhe sind seit Jahren die beliebtesten Onlineshoppingprodukte und wurden 2021 von 37 Prozent aller Österreicher:innen zumindest einmal im Internet bestellt. 

Angetrieben von den lebhaften Wohnbau- und Wohnbausanierungsaktivitäten erzielen die Baumärkte seit Jahren überdurchschnittlich hohe Umsatzzuwächse, während die Möbelhändler, im Vergleich zum gesamten Einzelhandel in Rückstand geraten sind. Der Möbelhandel verbuchte preisbereinigt seit 2012 sogar leichte Umsatzeinbußen. Maßgeblich für das schwache Ergebnis sind, wie im Bekleidungshandel, die zunehmend gesättigte Nachfrage und die rasch gewachsene Onlinekonkurrenz. Möbel zählen neben Bekleidung und Büchern zu den drei beliebtesten Warengruppen beim Onlineeinkauf und wurden im Vorjahr von 20 Prozent aller Österreicher:innen auf einem elektronischen Marktplatz gekauft.

Zu den wachstumsstärksten Einzelhandelsbranchen in Österreich zählen langfristig die Apotheken. Die Sparte profitiert von einer weitgehend konjunkturunabhängigen Nachfrage, vielfach von preisregulierten Produkten und einem weitreichenden Schutz vor neuen Konkurrenten. Von 2008 bis 2020 ist der Spartenumsatz nominell um durchschnittlich 3 Prozent pro Jahr gestiegen, 2021 um 16,2 Prozent und im ersten Quartal 2022 um weitere 24,1 Prozent. Die Durchführung von Coronatests seit Februar 2021 in öffentlichen Apotheken und Kostenerstattung für die Antigentests, die in den Apotheken abgegeben werden, sorgten für das höchste Umsatzwachstum der Sparte seit Jahrzehnten. 


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Günter Wolf, Tel.: +43 (0) 5 05 05-41954;
E-Mail: guenter.wolf@unicreditgroup.at