UniCredit Bank Austria Branchenbericht Tourismus
Tourismuskonjunktur kühlt im Herbst 2022 ab
- Nach starkem Aufholprozess in der ersten Jahreshälfte 2022 verlangsamt sich die Tourismuskonjunktur seit Juli
- Der Tourismus wird erst 2023 das Rekordminus der letzten zwei Jahre ausgleichen können; 2021 lagen die Einnahmen mit 16,4 Milliarden Euro noch um 45 Prozent unter dem Niveau 2019
- Positive Entwicklung: Die Tourismusdestination Österreich gewinnt an Wettbewerbsstärke durch starke Erholung des Inlandstourismus und hohem Stellenwert der Umweltbedingungen im Reiseland
- Darüber hinaus verzeichnet der Tourismus in Österreich durch die qualitative Aufwertung des Angebots überdurchschnittlich hohen Zuwachs bei den Beherbergungspreisen im europäischen Vergleich
Der Tourismus war einer der größten Verlierer der Pandemie. In Österreich sind die Einnahmen in den letzten zwei Jahren um 45 Prozent unter das Vorkrisenniveau gefallen. Dass die Verluste bis Mitte 2022 großteils wieder aufgeholt werden konnten, war dem hohen Nachholbedarf beim Urlaub geschuldet, zeigt aber auch die Konkurrenzstärke der heimischen Tourismuswirtschaft. Seit Juli werden die Zuwächse der Tourismusnachfrage wieder schwächer. „Voraussichtlich gelingt es dem heimischen Tourismus erst im Lauf von 2023 das coronabedingte Minus vollständig auszugleichen. Mit der starken Verteuerung von Energie und Lebensmittel sind die Reisekosten beziehungsweise die Lebenshaltungskosten potenzieller Gäste gestiegen und ihre Reisebereitschaft ist gesunken“, sagt Bank Austria Ökonom Günter Wolf.
Tourismuskrise konnte 2022 großteils überwunden werden; die Erholung kommt 2023
Seit Februar 2022 hat sich die Tourismusnachfrage mit der schrittweisen Aufhebung der Covid-Restriktionen rasch erholt. In der vergangenen Wintersaison erreichten die Gästeankünfte in Österreich wieder zwei Drittel des Niveaus der Saison 2019, die Einnahmen bereits 82 Prozent der Vorkrisensaison. Die hohe Reiselust vor allem der Österreicher:innen schien zu Beginn der Sommersaison ungebrochen zu sein. In den ersten drei Sommermonaten, von Mai bis Juli 2022, lag die Zahl der Übernachtungen nur mehr um 4 Prozent unter dem Vergleichszeitraum 2019. Die Nächtigungen von Gästen aus Österreich und aus Deutschland haben das Vorkrisenniveau bereits um 5 Prozent respektive um 2 Prozent übertroffen.
Die Zuwächse der Tourismusnachfrage wurden allerdings schon im Juli von den zunehmend schlechter werdenden Rahmenbedingungen deutlich gebremst, wobei die Übernachtungen von Inländer:innen im Vorjahresvergleich sogar wieder um 9,6 Prozent gesunken sind. Zudem fehlen viele Reisende aus den Überseemärkten. Die Übernachtungen von US-Gästen in Österreich lagen in den ersten drei Sommermonaten 2022 noch um 22 Prozent unter dem Niveau von 2019, von chinesischen Gästen sogar um 96 Prozent darunter.
Voraussichtlich wird die weitere Tourismusentwicklung 2022 durch den Ukrainekrieg beziehungsweise die hohe Inflation erheblich beeinträchtigt. Die steigenden Preise für Energie und Lebensmittel bremsen nicht nur Fernreisen, sondern auch die Nachfrage aus nahen Märkten, vor allem weil die hohen Treibstoffpreise Pkw-Reisen verteuern. Zudem dämpfen die höheren Lebenshaltungskosten das verfügbare Einkommen und damit die Reisebereitschaft vor allem einkommensschwächerer Gästeschichten. Im Juli und August sind die Beurteilungen der finanziellen Situation der Konsumenten in den nächsten 12 Monaten auf den tiefsten Wert seit Erhebungsbeginn Mitte der 90er Jahre gesunken, in Österreich wie im westeuropäischen Durchschnitt.
Auch die Geschäftserwartungen der Unternehmen sowohl im österreichischen Beherbergungsgewerbe als auch in der Gastronomie sind seit Juli deutlich pessimistischer geworden und kündigen ebenfalls eine Abkühlung der Tourismuskonjunktur in den nächsten Monaten an. Zuletzt beurteilten die Unternehmen im August die Nachfrageentwicklung in den nächsten Monaten per Saldo schlechter als noch während des Teil-Lockdowns Anfang des Jahres.
Die Reiseverkehrseinnahmen, die 2021 mit insgesamt 16,4 Milliarden Euro um 45 Prozent unter dem Ergebnis 2019 lagen, werden im Gesamtjahr 2022 zwar kräftig zulegen. Da aber die Zuwächse im zweiten Halbjahr schwächer werden, auch vor dem Hintergrund der überdurchschnittlich erfolgreichen Sommersaison 2021, werden die Tourismuseinnahmen das Vorkrisenniveau erst 2023 erreichen.
Wettbewerbsvorteile für die Tourismusdestination Österreich
Der Tourismusdestination Österreich könnten die Einschränkungen, die potenziell Reisende in den Pandemiejahren erfahren haben, zusätzliche Wettbewerbsvorteile bringen. Weltweit erholt sich der Tourismus von den pandemiebedingten Einbußen verstärkt im Inlandsreiseverkehr und angetrieben vom Trend zu naturnahen Reisezielen. Auch in Österreich haben die Gästenächtigungen in den Destinationen außerhalb der Landeshauptstädte in der ersten Hälfte der Sommersaison ihr Vorkrisenniveau bereits wieder erreicht, während die Städtenächtigungen noch um 14 Prozent darunter lagen.
Das langfristige Wachstum des Tourismussektors hängt zunehmend von der Fähigkeit einer Destination ab, ökologische Bedrohungen zu managen. Der aktuelle Global Risk Report des World Economic Forum zeigt, dass fünf der zehn global bedrohlichsten Risikoereignisse die Umwelt betreffen. Im Vordergrund stehen dabei das Handlungsversagen in Bezug auf die Klimakrise, extreme Wetterereignisse und der Verlust der Biodiversität einer Region. In diesem Zusammenhang ist die hohe Qualität der natürlichen Ressourcen Österreichs eine überdurchschnittlich konkurrenzstarke Grundlage. Die Umweltbedingungen im Land zählen längst zu den besten im europäischen Vergleich. Ein Aspekt der wesentlich zur sehr guten Platzierung Österreichs auf Rang 11 im Vergleich von 117 globalen Destinationen im Rahmen des Tourismus-Ranking des World Economic Forum (WEF) beiträgt.
Qualitative Aufwertung des Angebots ermöglicht überdurchschnittlich starke Preiszuwächse im Beherbergungsgewerbe
Die gute Platzierung Österreichs im WEF Tourismus-Ranking beruht zusätzlich zum hervorragenden Gesundheitswesen und den guten Umweltbedingungen auf der hohen Qualität der touristischen Infrastruktur. Hintergrund davon war die weitreichende Restrukturierung des Tourismusangebots, die zudem für kontinuierliche Zuwächse der Einnahmen sorgte. Der Bestand an Beherbergungsbetrieben ist seit dem Höchststand in den 70er Jahren um ein Drittel beziehungsweise um 34.000 Betriebe gesunken. Großteils waren das Privatquartiere. Im gewerblichen Segment wurden langfristig vor allem 1/2-Stern- und 3-Stern-Betriebe geschlossen, in eine höhere Kategorie adaptiert oder zu Ferienwohnungen ausgebaut. Die Aufwertung der Angebotsqualität sorgte für mehr Gäste und für eine steigende Bettenauslastung. Zudem konnten die Betten zu höheren Preisen verkauft werden, was sich daran zeigt, dass die nominellen Einnahmen pro Übernachtung über vier Jahrzehnte mehr oder weniger ungebremst zugelegt haben (bis auf 206 € 2021).
Allerdings hat das Einnahmenwachstum im Vergleich zu den Übernachtungen nach 2008 an Schwung verloren, weil sich die Tourismusnachfrage zunehmend in Richtung günstigere Angebote verschoben hat, vor allem zu den Ferienwohnungen. Österreichs Tourismuseinnahmen sind seit 2008 pro Übernachtung um durchschnittlich 1,3 Prozent nominell im Jahr gestiegen, in den zehn Jahren davor noch um 2,9 Prozent. Entscheidend für die einzelnen Betriebe ist jedoch, dass die Gäste im Durchschnitt weniger ausgegeben haben, im Urlaub also sparsamer wurden. Pro Gast sind die Einnahmen von 2008 bis 2019 um 0,3 Prozent gesunken. Die Ergebnisse 2020 und 2021, als die Einnahmen pro Gast stark gestiegen sind, sind infolge der massiven Veränderungen der Tourismusnachfrage verzerrt.
Die Verschiebung der Gästenachfrage zu einfacheren Beherbergungsangeboten hat sich letztendlich auch in den Ergebnissen der Betriebe im höher kategorisierten Segmenten niedergeschlagen. Das Beherbergungsangebot in Österreich hat sich im europäischen Vergleich zwar überdurchschnittlich verteuert: von 2008 bis 2021 sind die Verbraucherpreise für Beherbergungsleistungen um durchschnittlich 2,6 Prozent im Jahr gestiegen, im Euroraum um 1,7 Prozent. Dennoch hat sich der Umsatzrendite der 3-Stern- und 4/5-Stern-Betrieben im Sample der österreichischen Hotel- und Tourismusbank bis 2019 nicht nennenswert verbessert. „Die schwache Ertragsentwicklung trotz der steigenden Auslastung bei höher kategorisierten Betrieben lässt den Schluss zu, dass das Beherbergungsangebot in qualitativ höherwertigeren Segmenten in Österreich zum Teil zu billig verkauft worden ist. Einen Indikator dafür liefert auch das WEF Tourismusranking, wonach die Hotelpreise in Österreich 2019 die günstigsten im westeuropäischen Vergleich waren,“ sagt Wolf abschließend.
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