UniCredit Bank Austria Branchenbericht:
Chemiekonjunktur verlor 2022 an Schwung – Kostenbelastung bleibt größte wirtschaftliche Herausforderung
- Die österreichische Chemieproduktion ist seit September rückläufig, 2021 sind die Branchenproduktion noch um 5,8 Prozent und der Umsatz um rund 26 Prozent auf 16,7 Milliarden Euro gestiegen
- Das Umsatzwachstum der Branche wird schwächer, sollte aber 2022 zumindest noch 20 Prozent erreichen
- Kostenbelastung: Der Energiekostenanteil an den Erlösen der Chemieindustrie ist von 3 Prozent im Jahr 2019 auf etwa 10 Prozent 2022 gestiegen und wird über 2 Milliarden Euro betragen (2019: 500 Millionen Euro)
- Erfolge im Außenhandel sorgen für einen stabilen Anteil am weltweiten Chemiehandel
- Die Chemieindustrie ist durch die Lieferung von Vorprodukten im Bereich erneuerbarer Energie wichtiger Faktor für ein klimaneutrales Wirtschaftssystem
Die Herstellung chemischer Produkte, kurz die Chemieindustrie, hat nicht nur das Krisenjahr 2020 besser als der Industriedurchschnitt bewältigt, sondern erzielte auch 2021 und 2022 überdurchschnittlich hohe Umsatzzuwächse. Angetrieben wurde das Wachstum von den stark gestiegenen Erzeugerpreisen. „In den letzten Jahren ist es der österreichischen Chemieindustrie gelungen, einen erheblichen Teil der stark gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten in ihren Produktpreisen weiterzugeben. Dennoch bleibt die Kostenbelastung über 2022 hinaus vermutlich die größte wirtschaftliche Herausforderung für die Branche“, sagt UniCredit Bank Austria Ökonom Günter Wolf.
2021 sind die Branchenproduktion um 5,8 Prozent und der Umsatz um rund 26 Prozent auf 16,7 Milliarden Euro gestiegen. Einen überdurchschnittlich hohen Beitrag zum Umsatzwachstum leistete die Kunststofferzeugung. Die Sparte trägt auch etwa die Hälfte zum gesamten Branchenumsatz bei. Weitere 12 Prozent vom Umsatz wurden mit Chemiefasern erzielt. Darüber hinaus erzeugt die heimische Chemie eine breite, technologisch zumeist hochwertige Produktpalette und sichert sich damit ihre internationale Konkurrenzfähigkeit.
Chemie beendet 2022 mit einem leichten Produktionsminus und einem preisgetriebenen Umsatzplus
2022 wurde das Branchenwachstum sukzessive schwächer. Im Durchschnitt der ersten zehn Monate wurde ein Produktionsplus von 1 Prozent registriert, wobei die Branchenproduktion im September und Oktober, dem letztverfügbaren Wert, im Vorjahresvergleich bereits gesunken ist. Gleichzeitig verbuchte die Chemieindustrie ein Umsatzwachstum von durchschnittlich 25 Prozent bis Oktober, angetrieben vom Zuwachs der Erzeugerpreise um durchschnittlich 29 Prozent. Überdurchschnittlich stark gestiegen sind die Preise für Düngemittel und Agrarchemie, die bis Oktober im österreichischen Großhandel um durchschnittlich 69 Prozent teurer wurden, und von technischen Chemikalien, die sich im Großhandel um 45 Prozent verteuerten.
Wie die in der Mehrzahl pessimistischen Produktionserwartungen der Unternehmen zuletzt noch im November ankündigten, hat sich die Chemiekonjunktur in den letzten Monaten 2022 weiter abgekühlt. Das Produktionsminus dürfte gestiegen sein und das Umsatzwachstum hat sich verlangsamt. Zwar haben sich die Lieferkettenprobleme der Chemieindustrie im 4. Quartal 2022 etwas entspannt. Gleichzeitig nannten aber schon mehr als ein Fünftel der Unternehmen den Mangel an Fachkräften und die zunehmend schlechtere Auftragslage als ihre wesentlichen Produktionshindernisse. Nach dem sehr guten Vorjahresergebnis wird die Chemieindustrie 2022 voraussichtlich mit einem leichten Produktionsminus und mit einem weiteren hohen Umsatzplus im Bereich von 20 Prozent beenden.
Energiekostenanteil an den Erlösen der Chemieindustrie steigt von 3 Prozent auf 10 Prozent 2022
Trotz des Anstiegs der Erzeugerpreise in der Chemie von durchschnittlich 29 Prozent bis Oktober 2022, konnten die Unternehmen die sprunghaft gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten wahrscheinlich nur zum Teil auffangen. Die Kostenbelastung bleibt über 2022 hinaus die größte wirtschaftliche Herausforderung für die Chemieindustrie. Einerseits ist die Branche mit anhaltend hohen Energiepreisen konfrontiert und andererseits muss die Chemie erhebliche Investitionen in die Entwicklung klimaschonender Produktionsprozesse und Produkte unternehmen, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
Die Chemieindustrie ist überdurchschnittlich energieintensiv und verwendet knapp ein Viertel des gesamten Energieeinsatzes der heimischen Industrie (104 Petajoule von 460 Petajoule 2019). Davon entfällt etwa die Hälfte auf Erdölprodukte, rund 30 Prozent auf Erdgas und 13 Prozent auf elektrischen Strom. 2019 hat die Branche in etwa 500 Millionen Euro beziehungsweise 3,3 Prozent ihrer Erlöse für die Energierechnungen ausgegeben (im Vergleich dazu die Industrie insgesamt 1,8 Prozent).
Einzelne Sparten der Chemieindustrie waren wesentlich stärker belastet, wie zum Beispiel die Hersteller von Industriegasen mit Energiekosten von 15 Prozent der Erlöse. Unter der Annahme, dass die Anteile der Energieträger am Energieeinsatz unverändert geblieben sind, erhöhte sich der Energiekostenanteil der Chemieindustrie aufgrund der Preissteigerungen von 2019 bis 2022 auf rund 10 Prozent der Branchenerlöse (in Summe auf mehr als 2 Milliarden Euro).
Laut den aktuellen Notierungen an den Terminmärkten muss 2023 zumindest mit ähnlich hohen Strom- und Gaspreisen wie im 4. Quartal 2022 gerechnet werden. Erst ab 2024 sollten die Energieträger wieder billiger werden, wobei die Preise auch über 2024 hinaus weit über dem niedrigen Niveau von 2019/2020 bleiben. Auf jeden Fall bleiben alle energieintensiven Industrien, die einen höheren Erdgas- und Stromverbrauch haben, in den nächsten Jahren mit deutlich höheren Energiekosten belastet.
Erfolge im Außenhandel sorgen für einen stabilen Anteil am weltweiten Chemiehandel
Da viele chemische Verfahren und Produkte nur in großer Serie effizient eingesetzt und erzeugt werden können, sind Außenhandelsdefizite in dem Bereich fast unvermeidbar und kein Indikator für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der Branche. 2021 belief sich das Handelsdefizit auf 646 Millionen Euro. Vor allem werden chemische Grundstoffe, Kosmetika und sonstige Pflegemittel importiert. Gleichzeitig sorgen vor allem die Exporterfolge mit Chemiefasern seit Jahren dafür, dass das Außenhandelsminus nicht stärker wächst. Der Exportüberschuss in der Produktgruppe belief sich 2021 auf 851 Millionen Euro. Darüber hinaus erzielten auch die Hersteller von Chemiespezialitäten, die Kunststoffen und technischen Kunststoffwaren höhere Exportzuwächse und zum Teil eine Verbesserung der Außenhandelsbilanz.
In Summe demonstriert die österreichische Chemieindustrie ihre Konkurrenzstärke am langfristig stabilen Anteil von 0,9 Prozent an allen weltweit importierten Chemieprodukten (ohne Pharma und inklusive Kunststoffwaren). Die Exporterfolge unterstreichen auch die gute Positionierung der Chemieindustrie im nationalen Branchenvergleich, wie sie unter anderem im langfristig leicht steigenden Beitrag der Branche zur Industriewertschöpfung von 4 Prozent auf 5 Prozent zum Ausdruck kommt.
Chemieindustrie ist ein wichtiger Faktor in einem klimaneutralen Wirtschaftssystem
Die zentrale Rolle der Chemieindustrie für den Klimaschutz ergibt sich aus der Tatsache, dass chemische Produkte wesentliche Bausteine der Wirtschaft sind. Zudem liefert die Chemie essenzielle Vorprodukte für CO2-sparende Technologien in den Bereichen erneuerbare Energien, in der Mobilität und im Wohnbau (beispielsweise Dämmstoffe, Leichtbauwerkstoffe oder effiziente Beleuchtungssysteme).
Gleichzeitig ist die Chemie aber für 9 Prozent aller Treibhausgasemissionen der österreichischen Industrie verantwortlich. „Österreichs Chemieindustrie arbeitet im EU-Vergleich zwar emissionsärmer. Der Treibhausgasausstoss liegt mit 850 Tonnen pro Million Euro Wertschöpfung um circa 16 Prozent unter dem EU27-Durchschnitt. Allerdings erfordert das Ziel einer klimaneutralen Produktion bis 2050 von der Branche noch erhebliche Investitionen“, sagt Wolf abschließend.
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