UniCredit Bank Austria Analyse:
Industrieländer von Lieferengpässen und Kostenanstieg besonders stark betroffen
- Anhaltende Lieferprobleme seit über zwei Jahren: Probleme in den globalen Wertschöpfungsketten führten zu Verlängerung der Lieferzeiten für Vormaterialien in Rekordtempo
- Lieferkettenprobleme erreichten Mitte 2021 ihren Höhepunkt, seitdem leichte Entspannung
- Neun von zehn heimischen Industriebetrieben sehen die Fertigstellung ihrer Erzeugnisse durch Materialengpässe weiterhin verzögert
- Österreich als Industrieland ist überdurchschnittlich stark von den Lieferverzögerungen betroffen und war im Sommer 2021 das EU-Land mit den längsten Lieferverzögerungen in der Industrie
- Größte Verzögerungen in den Lieferketten bei komplexer technologischer Ausrüstung, gefolgt vom Maschinen- und Anlagenbau, „einfache“ Erzeugnisse, wie z.B. Grund- und Rohstoffe sind weniger stark betroffen
- Verlängerung der Lieferzeiten führte zu deutlichem Anstieg der Einkaufskosten, preistreibende Faktoren sind die Verwerfungen auf den Rohstoffmärkten infolge des Kriegs in der Ukraine
- Steigende Verkaufspreise erreichten im April 2022 mit etwas Verzögerung ihren Höhepunkt, weiterer Anstieg zu erwarten
Die optimale Nutzung der Stärken unterschiedlicher Standorte durch globale Wertschöpfungsketten hat über Jahrzehnte eine effiziente und somit kostengünstige Güterherstellung ermöglicht, die weltweit den Wohlstand erhöht hat. Mit den Verwerfungen im Zuge der wirtschaftlichen Erholung aus der Pandemie ist jedoch die Anfälligkeit dieser langen Lieferketten gegen Störungen sichtbar geworden. Obwohl sich die Lieferkettenprobleme trotz des Kriegs in der Ukraine langsam zu verbessern scheinen, ist eine Umorientierung in der Wirtschaft zu beobachten.
„Die Resilienz sowie die Nachhaltigkeit globaler Wertschöpfungsketten mit einer hohen Anzahl an potenziell instabilen Partnern wird aufgrund der bestehenden Lieferprobleme in den Unternehmen kritisch hinterfragt. Die Versorgungssicherheit gewinnt gegenüber dem alleinigen Kostenargument an Bedeutung und wird durch Maßnahmen zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit wie die Diversifikation von Anbieterunternehmen und Regionen bewusst gestärkt“, meint UniCredit Bank Austria Chefökonom Stefan Bruckbauer und ergänzt: „Das Ende der Globalisierung ist zwar nach unserer Einschätzung nicht gekommen, doch die Pandemie und die jüngsten geopolitischen Veränderungen werden die wirtschaftlichen Organisations- und Steuerungskonzepte der Betriebe in den Industrieländern in den kommenden Jahren nachhaltig verändern.“
Die Analyse der Lieferprobleme auf Basis der monatlichen Befragung von Einkaufsmanagern zeigt seit rund zweieinhalb Jahren eine Verlängerung der Lieferzeiten für Vormaterialien und Rohstoffe, die über den Sommer 2021 ihren Höhepunkt erreicht hatte. „Die Lieferverzögerungen haben sich mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine zwischenzeitlich zwar verschärft, aber der Lieferzeitenindex zeigt bereits wieder eine Entspannungstendenz an. Dennoch geben derzeit rund neun von zehn heimischen Industriebetrieben an, dass die Fertigstellung ihrer Erzeugnisse durch Materialengpässe verzögert ist“, so Bruckbauer.
„Im internationalen Vergleich sind die österreichischen Betriebe überdurchschnittlich stark von den Lieferverzögerungen berührt. Wie in allen Industrieländern besteht eine stärkere Betroffenheit als von Entwicklungsländern, da zur Steigerung der Effizienz und Verringerung der Kosten komplexe und lange Lieferketten genutzt werden. Der aktuelle Lieferzeitenindex im Rahmen der Einkaufsmanagerumfrage zeigt für die Industrieländer einen Wert von 32,8 Punkten und für die Entwicklungsländer im Durchschnitt 44,0 Punkte“, analysiert UniCredit Bank Austria Ökonom Walter Pudschedl. Mit einem aktuellen Wert von 33,5 Punkten des Lieferzeitenindex ist der Euroraum zur Jahresmitte 2022 etwa gleich stark betroffen wie die USA. Die zusätzlichen Belastungen durch den Krieg in der Ukraine hatten sich in den Monaten davor jedoch weiter negativ auf die Liefersituation in Europa ausgewirkt.
„Innerhalb Europas zeigt sich eine besonders hohe Betroffenheit von Ländern, deren Industrie eine enge Verknüpfung mit jener Deutschlands aufweisen. In Deutschland selbst waren die Lieferstaus durch besonders gravierende Lieferengpässe von Halbleitern für die Autoindustrie etwas früher und stärker als in anderen EU-Ländern zu spüren. Österreich war in weiterer Folge im Sommer 2021 das EU-Land mit den längsten Lieferverzögerungen in der Industrie, abgelöst erst im Herbst durch Dänemark“, so Pudschedl weiter. Dagegen waren manche osteuropäischen Länder wie z.B. Polen und vor allem südeuropäische Länder wie Griechenland, Spanien und auch Italien weit weniger von Lieferverzögerungen betroffen. Alle Werte unter 50 bedeuten eine Verlängerung der Lieferzeiten im Vergleich zum Vormonat, je tiefer der Wert ist, umso stärker die Verlängerung gegenüber dem Vormonat.
Je länger die Kette und komplexer das Produkt, umso stärker die Lieferverzögerungen
Auf globaler Ebene sind klare sektorale Unterschiede bei den Lieferverzögerungen erkennbar. „Während die Lieferprobleme bei Grund- und Rohstoffen, Metallen und mittlerweile auch bei Baustoffen am geringsten sind, sind die größten Verzögerungen in den Lieferketten bei technologischer Ausrüstung gegeben, die auch die Produktion von Halbleitern inkludiert, gefolgt vom Maschinen- und Anlagenbau“, erklärt Pudschedl. Hinter allgemeinen Industriegütern folgen mittlerweile Nahrungsmittel, deren Liefersituation sich in den vergangenen Monaten im Vergleich zur Entwicklung von Erzeugnissen anderer Sektoren verschlechtert hat.
Generell ist die Länge der Lieferzeiten, stark von der Anzahl der verbauten Komponenten im Endprodukt sowie der Komplexität des Produktionsprozesses abhängig, also von der Nutzung von langen, globalen Wertschöpfungsketten. Eine Ausnahme ist die Entwicklung bei Nahrungsmitteln, die mit dem Krieg in der Ukraine in Zusammenhang stehen dürfte. Weltweit betrachtet verlängern sich aktuell in allen abgefragten Produktgruppen die Lieferzeiten, wenn auch mit nachlassendem Tempo.
Krieg in der Ukraine treibt Kosten weiter nach oben
Die Länge der Lieferzeiten ist ein wichtiger Indikator für die Beurteilung der Verhältnisse von Angebot und Nachfrage auf den Märkten. Ein Ungleichgewicht wirkt sich auf die Entwicklung der Preise aus. Neben der starken Nachfrage in Folge der Pandemie und der angebotsseitigen Probleme durch Transportschwierigkeiten und Produktionsausfälle durch Quarantänebestimmungen, sind aktuell die Verwerfungen auf Rohstoffmärkten, insbesondere bei Erdöl und Erdgas infolge des Kriegs in der Ukraine die preistreibenden Faktoren. Die Einkaufspreise für die Betriebe steigen weltweit rasant an. Der globale Index der Einkaufspreise liegt bei mehr als 70 Punkten, nur knapp unter dem absoluten Höchststand vom Herbst vorigen Jahres.
„Infolge der unterschiedlichen Lieferzeitenprobleme und Abhängigkeiten sind die Preisanstiege in den Entwicklungsländern deutlich niedriger als in den Industrieländern bei etwas stärkerer Betroffenheit Europas im Vergleich zur USA bedingt unter anderem durch die Gaskomponente“, meint Pudschedl und ergänzt: „Die Entwicklung in Österreich ist innerhalb Europas mit einem Einkaufspreisindex von 81,6 Punkten im Juni weiterhin von einer überdurchschnittlich starken Kostenbeschleunigung gekennzeichnet“.
Kostenüberwälzung auf die Verkaufspreise heizt mit Verzögerung Inflation an
Ab Herbst 2020 begannen die Einkaufspreise weltweit zu steigen. Erst ab dem Jahresbeginn 2021 beschleunigten sich die Abgabepreise. „Mit einer Zeitverzögerung von rund drei Monaten haben sich die höheren Kosten für Rohstoffe und Vormaterialien in steigenden Verkaufspreisen der Industrie niedergeschlagen, weil unter anderem Preiszusagen in bestehenden Verträgen erfüllt werden mussten. Die Preisdynamik im Verkauf erreichte ihren Höhepunkt erst im April 2022, angeheizt von den starken Energiekostenanstiegen, die sich überdurchschnittlich stark in den Industrieländern bemerkbar machten“, meint Pudschedl. Dabei war die Preisdynamik in den USA bis zum Jahresende 2021 besonders hoch, seitdem ist die Entwicklung im Euroraum dynamischer.
Stärker von Lieferverzögerungen betroffene Länder wie Deutschland und Österreich, weisen dabei im Durchschnitt einen überproportional hohen Anstieg der Abgabepreise aus. Das Indexverhältnis zwischen Output- und Inputpreisen aus der Befragung der Einkaufsmanager zeigt uns, dass während des ersten Jahres der Pandemie 2020 der deutliche Rückgang der Kosten nicht vollständig in die Verkaufspreise übertragen wurde. Das Indexverhältnis lag zum Teil deutlich über eins, d.h. die Einkaufspreise sind stärker gesunken als die Verkaufspreise. Knapp vor dem Jahreswechsel 2020/21 änderte sich die Situation. Der rasante Anstieg der Einkaufspreise übertraf jenen der Verkaufspreise. Mit zunehmender Dauer und Intensität des Kostenanstiegs sowie der kräftigen Nachfrage erhöhte sich die Preisfestsetzungsmacht der Hersteller und die Übertragung der höheren Kosten in die Abgabepreise konnte besser umgesetzt werden. Dennoch weisen die Daten bislang auf eine höhere Dynamik der Kosten als jene der Abgabepreise hin, was für die kommenden Monate noch weiteren Kostendruck auf die Abgabepreise erwarten lässt.
Weiter Informationen unter: Die Lieferkettenprobleme im internationalen Vergleich, Unicredit Bank Austria, Juli 2022
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